Wien: Die fleischlose Küche führt in den Gemüsehimmel

Die fleisch­lose Kü­che liegt im Trend. In Wien gibt es sie aber schon seit den 1870er-Jah­ren. Schon da­mals ent­stand hier eine ve­ge­ta­ri­sche Szene. Heute prä­sen­tiert sich diese Kü­che al­ler­dings längst auf Fine-Di­ning-Ni­veau.

Schon in den 1870er-Jah­ren ent­stan­den in Wien die ers­ten ve­ge­ta­ri­schen Re­stau­rants – und das war da­mals höchst er­staun­lich für die Schnit­zel- und Back­hendl­me­tro­pole, denn Ge­müse spielte in der tra­di­tio­nel­len Wie­ner Kü­che eine un­ter­ge­ord­nete Rolle. Die Wie­ner wa­ren rich­tige Fleisch­ti­ger.

JOLA (c) La­rissa And­res

1877 er­öff­nete Karl Ram­har­ter in Wien das erste ve­ge­ta­ri­sche Re­stau­rant im ge­sam­ten deutsch­spra­chi­gen Raum, in dem auch bald der Kom­po­nist Gus­tav Mahler ein- und aus­ging. Aber es wäre nicht Wien, wäre nicht auch hier das Schnit­zel im Fo­kus ge­stan­den. Es wurde al­ler­dings auf fleisch­lo­ser Ba­sis ser­viert – aus Sel­le­rie, Grün­kern oder Lin­sen.

Wei­tere ve­ge­ta­ri­sche Re­stau­rants folg­ten – und alle tru­gen den Zu­satz „hy­gie­nisch-ve­ge­ta­risch“, was ver­mut­lich daran lag, dass die ve­ge­ta­ri­schen Re­stau­rants aus ei­nem Trend zur „na­tur­ge­mä­ßen Le­bens­füh­rung“ ent­stan­den. Der Ver­zicht auf Fleisch ging oft mit ei­nem Ver­zicht auf Al­ko­hol, Ta­bak und Weiß­brot ein­her. Al­ko­hol wurde da­mals in den ve­ge­ta­ri­schen Re­stau­rants nicht aus­ge­schenkt.

Die vegetarische Szene um 1900

The LaLa (c) Se­ve­rin Wur­nig

Ab 1870 ent­stan­den auch die ers­ten Ver­eine für Ve­ge­ta­rier. Der be­kann­teste war der 1881 ge­grün­dete „Ver­ein für na­tur­ge­mäße Le­bens­weise“. Mo­ti­va­tion für den Fleisch­ver­zicht wa­ren Tier­wohl und Ge­sund­heits­aspekte glei­cher­ma­ßen. Fleisch und Al­ko­hol wur­den als Ur­sa­chen für viele Krank­hei­ten ge­se­hen.

Die An­hän­ger der ve­ge­ta­ri­schen Szene blie­ben da­mals aber weit­ge­hend un­ter sich. Sie tausch­ten sich in ei­ge­nen Re­stau­rants über die Vor­teile der reiz­ar­men Diät aus, un­ter­hiel­ten sich über Na­tur­heil­an­stal­ten und prie­sen die Na­tur als All­heil­mit­tel.

&flora im Ho­tel Gil­bert (c) Mi­chael Koe­nigs­ho­fer

1886 fand in Wien so­gar ein Ve­ge­ta­rier-Kon­gress statt, was zur da­ma­li­gen Zeit für zahl­rei­che Ka­ri­ka­tu­ren in den Zei­tun­gen sorgte. In der Ta­ges­zei­tung „Die Presse“ war von „Spi­nat­brü­dern mit grü­ner Ge­sichts­farbe” zu le­sen. Wäh­rend im Bür­ger­tum der be­wusste und frei­wil­lige Fleisch­ver­zicht im Vor­der­grund stand, konnte sich die Ar­bei­ter­schicht aus Geld­sor­gen aber oft oh­ne­dies kein Fleisch leis­ten.

In den ve­ge­ta­ri­schen Koch­bü­chern der da­ma­li­gen Zeit war auch die be­rühmte Wie­ner Mehl­spei­sen­kü­che stark ver­tre­ten, wäh­rend heute Ge­müse im Fo­kus steht. Soja fand zwar 1873 im Zuge der Wie­ner Welt­aus­stel­lung sei­nen Weg nach Wien, kam aber in der Kü­che noch nicht zum Ein­satz.

Holen Sie sich unseren Newsletter!

News und Tipps – bis zu zwei­mal pro Wo­che kos­ten­los in Ih­rem Post­fach

Fol­gen Sie uns auf So­cial Me­dia:

Facebook | Instagram | Threads

„Ve­ge­ta­ria­ner strengs­ter Ob­ser­vanz“, wie Ve­ga­ner da­mals ge­nannt wur­den, gab es hin­ge­gen nur we­nige. Der Zweite Welt­krieg brachte dann das Ende des ve­ge­ta­ri­schen Trends. Heute prä­sen­tiert sich die ve­ge­ta­ri­sche und ve­gane Re­stau­rant­szene in Wien auf höchs­tem Ni­veau. Wie­ner Schnit­zel aus Flei­scher­satz – naja, wer’s mag …

Veggie de luxe

TIAN Re­stau­rant Wien (c) Ingo Per­tra­mer

An der Spitze der ve­ge­ta­ri­schen und ve­ga­nen Kü­che Wiens steht das TIAN Re­stau­rant. Aus­ge­zeich­net mit ei­nem Mi­che­lin-Stern und vier Gault-Mil­lau-Hau­ben, zählt es zu den bes­ten ve­ge­ta­ri­schen Re­stau­rants der Welt. Die Spei­se­karte liest sich wie ein Spa­zier­gang durch den Ge­mü­se­gar­ten. Sel­tene, auch fast ver­ges­sene Gemüse‑, Obst- und Ge­trei­de­sor­ten aus der Re­gion kom­men auf den Tisch – fair er­zeugt und bio­lo­gisch.

„Mir ist wich­tig, dass ich mit mei­ner Kü­che nicht den Ge­schmack von Fleisch nach­ahme, son­dern den Ge­schmack der Na­tur her­vor­kehre.“

Sterne-Koch Paul Ivić

Aus die­sen zau­bert Kü­chen­chef Paul Ivić raf­fi­nierte Ge­schmacks­er­leb­nisse mit span­nen­den Tex­tu­ren und setzt da­mit neue Maß­stäbe. Ivić be­schäf­tigt sich aber auch in­ten­siv mit Nach­hal­tig­keit. Er möchte beim Ko­chen mög­lichst we­nig weg­wer­fen und ver­wer­tet auch Wur­zeln, Blät­ter und Scha­len. „From Root to Leaf“ ist im TIAN ein Schlag­wort, das ge­lebt wird.

Fine Dining ohne Fleisch

JOLA (c) Mar­tin Pa­bis

Mit dem Jola hat Wien auch ein rein ve­ga­nes Fine-Di­ning-Re­stau­rant. Hier ste­hen sai­so­nale und re­gio­nale Pro­dukte im Vor­der­grund. Der Name „Jola” steht da­bei für Jo­na­than Wit­ten­brink und seine Part­ne­rin La­rissa And­res. Wit­ten­brink kochte zu­vor bei Paul Ivić im TIAN und war Kü­chen­lei­ter im TIAN Bis­tro. Nun zeigt er in sei­nem ei­ge­nen Re­stau­rant sein Kön­nen.

Auch im Jola ar­bei­ten die Kö­che die Ge­schmacks­er­leb­nisse aus den Pro­duk­ten her­aus. Wer et­was Neues pro­bie­ren möchte, kos­tet sich zu­dem durch eine al­ko­hol­freie Ge­trän­ke­be­glei­tung – etwa mit selbst­pro­du­zier­tem Kom­bu­cha und Kwass aus Lau­gen­ge­bäck.

&flora /​ Par­vin Razavi (c) Mi­chael Koe­nigs­ho­fer

In­ner­halb kür­zes­ter Zeit wurde auch das Re­stau­rant &flora im Ho­tel Gil­bert zu ei­ner der wich­tigs­ten Adres­sen für ve­ge­ta­ri­sche Kü­che in der Stadt. Ein grü­nes Ho­tel ver­langt eben auch nach ei­ner grü­nen Kü­che – und in die­ser ist Par­vin Razavi am Werk. Die Kü­chen­che­fin mit per­si­schen Wur­zeln setzt auf eine nach­hal­tige und mo­derne Kü­che, in der Ge­müse im Mit­tel­punkt steht.

Der Fo­kus liegt auf ve­ge­ta­ri­schen und ve­ga­nen Ge­rich­ten. Fleisch fin­det sich nur am Rande auf der Spei­se­karte. Die Ge­richte sind raf­fi­niert und man schmeckt die Liebe der Kü­chen­che­fin für ori­en­ta­li­sche Ge­würze. Zu­dem hat Par­vin Razavi ein groß­teils weib­li­ches Kü­chen­team um sich, was eine Sel­ten­heit ist. Vom ak­tu­el­len Gault & Mil­lau Guide 2023 er­hielt sie die Aus­zeich­nung als „New­co­me­rin des Jah­res”.

Dass ve­ge­ta­ri­sche Kü­che idea­ler­weise mit re­gio­nal und sai­so­nal ein­her­geht, zeigt auch Oli­ver Mohl in der Haus­bar im Künst­ler­haus. Auch hier steht eine groß­ar­tige ve­ge­ta­ri­sche und ve­gane Kü­che auf der Spei­se­karte. Wäh­rend die meis­ten ve­ge­ta­ri­schen Lo­kale auf Na­tur­weine set­zen, wer­den in der Haus­bar als Ge­trän­ke­be­glei­tung auch Cock­tails ser­viert. Der Name des Lo­kals ist so­mit auch Pro­gramm.

Schnell vegan

The Lala (c) The LaLa

Wer auf der Su­che nach ve­ga­ner Kü­che ab­seits von Fine Di­ning ist, sollte bei The Lala vor­bei­kom­men. Zwei Schwes­tern sind hier nach dem gro­ßen Er­folg ih­rer ve­ga­nen Eis­sa­lons in das Re­stau­rant-Busi­ness ein­ge­stie­gen.

Als Vor­bild für dient die ge­sunde ka­li­for­ni­sche Su­per­food-Kü­che. Krea­tive Bowls, Sa­late und Snacks – aus­schließ­lich mit ve­ga­nen Zu­ta­ten – ma­chen ne­ben dem far­ben­fro­hen Am­bi­ente des Re­stau­rants ga­ran­tiert gute Laune.

Adressen

Haus­bar (c) Ben­ja­min Mohl

www.wien.info/de